Meister Petz wird zur Landplage

Badische Zeitung 20. Juni 2017

Im Osten Russlands leben viele Bären von weggeworfenen Essensresten an den Landstraßen / Sie werden zur Gefahr für Autofahrer.

MOSKAU. Sie sehen putzig aus, verfügen aber – im wörtlichen Sinne – über Bärenkräfte. In Russland gibt es noch bis zu 150 000 Braunbären. Viele leben auf der ostrussischen Halbinsel Kamtschatka – und belagern dort mitunter die Autostrassen. Schuld sind die Menschen selbst.

Die Polizei warnt: "Gehen Sie nicht allein in den Wald. Nehmen sie Gegenstände mit, mit denen sie Lärm machen und das Raubtier vertreiben können (Sirenen, Pfeifen, bengalisches Feuer, Knallkörper und ähnliches)." Nachdem auf Kamtschatka am Freitag ein Mann beim Picknicken von einem Bär schwer verletzt wurde, schlagen die örtlichen Behörden Alarm. "Werfen Sie keine Essensreste weg, nähern sie sich keinen Bären, füttern Sie sie nicht, auch wenn sie gutmütig aussehen."

Der 27-jährige Naturfreund war nahe des Dorfes Lesnaja im Kreis Ust-Bolscherezk auf einen Braunbären gestossen, bekam Angst und flüchtete auf einen Baum. Der Bär aber kletterte ihm nach und begann die Beine seines Opfers mit denen Pranken zu bearbeiten, bevor dessen Freunde auftauchten und den Allesfresser mit lautem Geschrei in die Flucht schlugen. Kurz darauf eintreffende Jäger konnten den Bären nicht mehr entdecken.

Experten schätzen die Zahl der mit bis zu 320 Kilo Gewicht größten europäischen Landraubtiere in Russland auf 100 000 bis 150 000 Exemplare. Jedes Frühjahr, wenn die Bären mager und hungrig aus dem Winterruhe erwachen, häufen sich auf Kamtschatka, aber auch in anderen russischen Regionen für beide Seiten lebensgefährliche Begegnungen.

Vergangene Woche wäre es auch auf der Autostrasse von Petropawlowsk-Kamtschatski nach Milkowo fast zu einer Katastrophe gekommen. Wie Interfax berichtet, hielt dort ein Pkw an, weil seine Insassen mehrere im Strassengraben sitzende Bären filmen wollten. Eines der Tiere hoffte offenbar auf einen Leckerbissen und versuchte ins Auto zu klettern, wobei es die Karosserie beschädigte. Wenige Wochen zuvor schlenderte ein Pelzriese durch die Hafenstadt Wiljuschinsk an der Ostküste Kamtschatkas, er wurde zum Star mehrere Youtube-Videos, bevor Jäger ihn vertrieben. "Auch in der Republik Komi belagern Bären zu Zeit eine Autotrasse", sagte der Twerer Tierschützer Sergei Paschetnow der Badischen Zeitung.

Oft beginnt es mit Essensresten, die Autofahrer in den Strassengraben werfen. Umherstreifende Bären verzehren sie und warten dort, wo sie fündig geworden sind, auf noch mehr Leckerbissen. Autofahrer halten an, jemand filmt, wirft mit Butterbroten um sich. Die cleveren Tiere lernen schnell, dass anhaltende Autos bequemes Futter bedeuten.

Ende Mai vertrieben Jäger mit Hunden und Gummigeschossen ein Tier von der Straße nach Bolscherezk, das jede Angst vor den Menschen verloren hatte. Aber Paschetnow bezweifelt, dass es reicht, den Schnorrern ein paar Gummipfropfen auf den Pelz zu brennen. "Nach unseren Erfahrungen muss man solch ein Tier betäuben und mindestens 150 Kilometer entfernt in der Wildnis aussetzen, damit es wieder gezwungen wird, sich natürliche Nahrung zu verschaffen." Patschetnow leitet die Biostation "Tschisti Les", wo er und seine Kollegen seit 1995 224 Bärenjungen von den Menschen entwöhnten und auswilderten. Die meisten wurden von Bärenjägern bei ihren erlegten Müttern gefunden und anonym abgeliefert. Wer selbst versuche, ein Bärenjunges aufzuziehen, müsse es spätestens mit vier Jahren erschießen, sagt Paschetnow. "Wenn ein Bär gefährlich wird, sind Menschen daran schuld."