Ein ganzes Dorf geht im Klimawandel unter

Erderwärmung: Eskimos in Alaska flüchten vor Naturgewalt
Hamburger Abendblatt 31.10.06 und DIE WELT vom 30.10.06

ANCHORAGE. Jeder Sturm kann der letzte sein für Shishmaref. Das wissen die Menschen in dem kleinen Eskimo-Dorf auf einem Inselchen vor der Küste Alaskas - und sie fürchten sich davor. Das Örtchen nur 150 Kilometer entfernt von der russischen Grenze ist ein Opfer des Klimawandels, dessen Folgen Leben und Lebensgrundlagen der rund 600 Bewohner immer mehr bedroht.

Shishmaref steht auf Permafrostboden - ein Boden, der normalerweise selbst im Sommer nicht auftaut und deshalb eigentlich ein sicheres Fundament darstellt. Doch durch die Erderwärmung wird der Untergrund immer unsicherer. Der schleichende Anstieg der Temperaturen hat für die Umwelt der Inupiaq von Shishmaref, die zur Volksgruppe der Inuit gehören, noch schlimmere Folgen. Der Wasserspiegel steigt, und die heftiger gewordenen Stürme treiben immer größere Wellen gegen die Küste. Fischerboote wurden in der Brandung zerschlagen und Vorratslager zerstört. Einwohner Tony Weyiouanna: "Durch die Wärme sind neue Fliegen-Arten entstanden, die unsere traditionelle Konservierungsmethode für Fleisch, das Trocknen im Freien, kaum noch möglich machen."

Auch die Jagd wird immer schwieriger. Mit dem zurückgehenden Eis verschwinden Eisbären, Walrosse und Robben sowie das Karibu, die alaskische Unterart des Rentiers, das als Fell- und Fleischlieferant für die Inupiaq lebenswichtig ist. US-Wissenschaftler Robert Corell: "Der Klimawandel droht nicht nur für die Umwelt, sondern auch für viele Menschen zu einer Katastrophe zu werden." Für die Bewohner von Shishmaref gilt das besonders. Wohin sie mit ihrem Dorf umziehen, ist noch unklar. Neun Standorte werden geprüft. Der Favorit heisst Tin Creek, ein Flecken auf dem Festland 18 km vom Heimatdorf entfernt, und – eben so wichtig – er liegt nur drei Kilometer von der Küste entfernt. Voraussichtlich müssen wohl alle Bewohner bis 2018 ihr Dorf verlassen. Umsiedlungsbeauftragte Luci Eningowuk: "Sicher ist nur, dass es für uns nirgends so sein wird, wie es hier einmal war."

Auch weltweit drohen Gefahren: Im Permafrostboden lagern Methan und Kohlendioxid. Taut der Boden, werden sie freigesetzt. Was das für das globale Klima bedeutet, lässt sich noch gar nicht abschätzen.