Loving River to death (Fluss zu Tode geliebt)

So bezeichnen anständigerweise Alaskas Behörden den Vorgang. Solche Umschreibungen sind inzwischen jedem Alaska-Fischer geläufig. Noch Ausnahmen zu Beginn der 80er Jahre, nehmen sie nun in erschreckendem Masse zu. Die Gründe sind bekannt: Billigflüge, falsch interpretierte Freiheitsbegriffe, Kommerz, der obsiegt. Sportfischer resignieren oder nehmen Reissaus.

Auf der Suche nach Alternativen stiess ich vor sechs Jahren auf den Situk River in Südostalaska. Die auf Grund eines Berichtes in der vorbildlichen, inzwischen leider dem staatlichen Sparprogramm zum Opfer gefallenen Publikation  „Alaska Wildlife“ des Department of Fish and Game.

Er entspringt einem Bergsee, mündet nach 30 km ins Meer, ein Clearwater von der Dimension des Doubs. Alle fünf Lachsarten, einer der noch besten Steelhead-Flüsse. Das sehr kleine Flusssystem durchfliesst privilegiertes, produktives Umfeld, produziert noch eine halbe Million Lachse.

Um die Jahrhundertwende verursachte unkontrollierte kommerzielle Fischerei an der Mündung rapiden Rückgang der Bestände, vor allem Sockeye und Coho. 1927 wurden behördliche Restriktionen verfügt, ohne Erfolg. Man vermutete alsdann, dass die sehr zahlreichen Steelheads und Dolly Varden schuld seien: Laichräuber. Man startet eine Vernichtungsaktion mit allen Methoden, sogar mit Dynamit. 1934 wurden 142.547 Stück Steelheads und Dolly Varden vernichtet.

Während des Krieges hatte man andere Sorgen, die Vernichtungsaktion schlief ein. Eine Erholung der Rot- und Silberlachsbestände trat indes nicht ein. Anfangs der 50er Jahre war der Steelhead-Run noch ca. 25.000, heute hat er sich bei 1.500 eingependelt. Für den dramatischen Rückgang an der gesamten Pazifik-Küste wird unter anderem ja die hemmungslose Hochsee-Fischerei verantwortlich gemacht.

Sportfischer am Fluss begann erst 1942, eine grosse Garnison mit über 10.000 Mann wurde in Yakutat stationiert. Eine sehr schlechte Strasse machte aber den Zugang zum Fluss beschwerlich, der Befischungsdruck hielt sich in Grenzen. Um 1970 wurde das Strassensystem wegen der Holzfällerei verbessert und erweitert. Grausamste Kahlschläge. Auch dann noch hielt sich die Sportfischerei in Grenzen. Der kleine Fluss erträgt vielleicht so 50 bis 100 Fischer gleichzeitig. Bis Ende der 80er Jahre kamen hauptsächlich Amerikaner für die Steelheadfischerei sowie die Silberlachse im Herbst. Rotlachs war ihnen zu schwierig zu fangen. Königslachs, der Run ist gleichzeitig mit dem Rotlachs, ist nicht so zahlreich. Wenn heute zu wenig – unter 800 – aufsteigen, wird er gar nicht freigegeben. Seit zwei Jahren gilt für Steelhead nur noch „catch and release“.

Nun, genug Geschichte. Wir erreichen Yakutat jeweils per Kleinflugzeug ab Haines/Alaska, eine Stunde Flug über das herrliche Küstengebirge, Dry Bay und Glacier Bay. Wetterabhängig, oft kritisch, wenn plötzlich Nebelbänke die Sicht in den engen Tälern, die durchflogen werden müssen, behindern.

Landung im gut ausgebauten Ykutat Airfield. Tägliche Linienflüge zwischen Juneau und Anchorage, Bevölkerung Yakutat keine 1.000. Miete eines abenteuerlichen Trucks, Fahrt zur Lodge, ca. 50 Betten. Perfekte, grosszügige Zimmer, warm, Trocknungsstelle, denn in Yakutat regnet es oft. Angenehme Nasszellen. Guter Service und freundliche Bedienung. Verpflegung echt amerikanisch, Rib Eye am Samstag, mindestens ein Pfund, sensationell; kostet mit immensen Beilagen 16 Dollar, ein Liter kalifornischer Burgundy, sehr gut, 10 Dollar.

Fahrt zum Fluss. Zuerst abklären wann ist Flut. Der Mündungsbereich, etwa 2 bis 3 km, ist gezeitenabhängig. Dort sind die besten Pools, das heisst dort sind die Fische noch nicht nervös. Frisch aufgestiegene Rotlachse sammeln sich bei ablaufendem Wasser in den tiefen Stellen, Wathosen, der Fluss ist gut begehbar. Fast-Sinking Nassschnur, kurzes 10-Pfund-Vorfach, Lachsfliege Nr. 2, moderne Bindeweise. Schräg aufwärts Einwurf, Fliege muss auf Grund. Eintauchstelle Schnur ins Wasser und scharf beobachten, sobald stehen bleibt: Anhieb und zwar richtig. Der Rotlachs beisst ja nicht, er ist voll mit der Osmose (Umstellung der Körperfunktion von  Salz- auf Süsswasser) beschäftigt. Der Beissreflex ist sehr zart, kaum spürbar. Herrlicher Drill der frisch aufgestiegenen, kräftigen Rotlachse, im Schnitt 6 bis 9 Pfund. 8 bis 9 Fuss-Rute genügt. Blechfischen verpönt, stinkende Rogen ein Sakrileg.

Wanderung am Ufer entlang flussaufwärts. Regenwald. Meterdicke Sitka Spruce, Zeder, moosbehangen. Wir sind im Tongass National Forest. Üppige Vegetation. Himbeeren so gross wie Pingpong-Bälle. Schwarzbären noch und noch. Weisskopfadler wie Spatzenschwärme, die Sportfischer schmeissen ja die Fischabfälle auch nur so ans Ufer. Andere zahlen extra für solche Exkursionen, wir haben es nebenbei.

Die Kings sieht man kommen. Mit dem kleinen Gerät eine richtige Herausforderung. Meistens bleibt der King Sieger, man müsste mit stärkerem Geschirr auftreten. Aber ich war immer zu faul, mit verschiedenem Gerät ans Wasser zu gehen. Immer kommen Dollys ebenfalls rein mit der Flut.  Unglaubliche Mengen, ganze Schwärme, 5 bis 7 Pfund sind keine Seltenheit, gewaltige Kämpfer, sind auch sehr beissfreudig. Kurz ein Paradies. Tageslimit: 6 Rotlachse, in Besitz deren 12. When you fly out Yakutat, you are allowed to 12 fish. Solange diese Bestimmung wirksam interpretiert wurde, hielt sich der Befischungsdruck in Grenzen. Neben Amerikanern hat es Jahr für Jahr immer mehr Europäer, Deutsche, Österreicher, Schweizer. Aber im grossen und ganzen akzeptabler Befischungsdruck.

Sobald 1993 die an sich erwünschte genaue Definition in den Bestimmungen – tiefgefroren ist nicht mehr in possession – erfolgte, kam das Unheil. Normalerweise hält sich der Fischer drei oder vier Tage am Fluss auf. 1994 kam erstmals eine Gruppe aus Europa, etwa 15 Fischer und blieben drei Wochen. Jeder holte jeden Tag sechs Stück raus, kaum ist eine Kiste voll, ab per Luftfracht nach Anchorage zum Räuchern. Besetzen rund um die Uhr die besten Pools. Die alten Besucher, vornehmlich Amerikaner, sitzen am Ufer auf einem Baumstamm und machen sich so ihre Gedanken.

Ein junger Sportsmann aus einem Kieslochverein im Badischen drillt eine wunderschöne dreipfündige Dolly, die ihm vehement den Köder nahm. Wird auf die Kiesbank geschleift, mit dem Fuss festgehalten. Haken rausgerissen und mit Fusstritt ins Wasser befördert. Verdammte Kleinfische tönt es! Ein Einzelfall? Trotz anspruchsvoller Sportfischerprüfung? Solche Vorkommnisse haben verheerende Folgen.

Auch Positives: Ein die Rotlachs-Nassfliegen-Fischerei perfekt Beherrschender aus der selben Gruppe bemerkt einen enttäuschten Einheimischen, der seit Tagen erfolglos sein Glück versucht. Er zeigt ihm die erfolgreiche Technik, montiert ihm das Gerät und der Mann hat sofort Erfolg: er ist glücklich.

Nun schon wieder wurde ein weiterer Fluss zu Tode geliebt. Wieder einen neuen suchen? Das ist nicht mehr so einfach. Langsam erreichen wir das Ende der endlosen Weite des Landes.

Halibut fischen in Yakutat ist sensationell. Homer und Haines nur Abklatsch. Einen halben Tag raus, modernste Boote, wir drei, Lore, Bruno und ich. Lore fängt wie üblich den Grössten, 135 Pfund. Dazu Rock- und Lengfisch als kulinarische Höhepunkte. So nebenbei noch drei Rochen, jeder im 100-Pfund-Bereich. Die werden abgeschnitten. Man ist mehr als geschafft. Abschiedsgeschenk vom Charterboot-Skipper: ein Dutzend Dungeness-Krabben. In der Lodge im Eisenfass mit dem Bunsenbrenner selbst gesotten. Zum Nachtessen gibt das eine Riesenplatte, serviert mit Knoblauchbutter und kalifornischem Chablis. Welch ein Land!

Übrigens: Wer Alaska an Winterabenden literarisch erleben möchte, dem empfehle ich ein sympathisches, mit Understatement geschriebenes Buch, in dem auch der Situk wirklichkeitsnah geschildert wird: Fritz Sass „Angeltouren in Alaska“ (SB 3 7842 0448 1).                                  Frühjahr 1995: Hanspeter Tanner

Anmerkung:
Ich war Ende Juni 1998 ebenfalls am Situk River und wollte auf Königslachse angeln. Doch mit meinen Hüftstiefeln konnte ich im unteren Teil den Fluss bei Flut nicht queren. Also hab ich mir von den Einheimischen das Durchgangsrecht für den rechtsseitigen Uferweg erkauft. Erstaunlich, selbst die Pools am oberen Flusslauf waren durch auf Rotlachs angelnde Petri-Jünger besetzt. Diese standen so nah zusammen, als wären sie auf einer Perlenschnur aufgereiht und das Auswerfen erfolgte im Takt. So entschied ich, das Angeln bleiben zu lassen und mir die Hauptstadt von Alaska und die Galcier Bay anzusehen.                               Tony Martin