Lachs im Klimastress

SonntagsZeitung_2021-12-26
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Technik, die Fische rettet (Entwicklung Omega3 Fettsäuren)

Angst vorm Turbofisch?

Quelle: Badische Zeitung, 2. Juli 2016


Turbofisch: Lachs aus dem Genlabor wächst schneller

Der Lachs namens Aqua-Advantage – Gentechnikgegner nennen ihn "Frankenfish" – wächst doppelt so schnell wie seine gewöhnlichen Artgenossen und frisst 25 Prozent weniger Nahrung. Das ist vielen unheimlich, selbst in den USA
 

Der 19. November 2015 war ein denkwürdiger Tag. An jenem Donnerstag wurde zum ersten Mal ein transgenes Tier offiziell als Lebensmittel zugelassen: der atlantische Lachs der Firma Aqua-Bounty Technologies aus Massachusetts. Die amerikanische Arznei- und Lebensmittelbehörde FDA gab bekannt, dass sich der genetisch veränderte (gv) Lachs – bis auf das eingeschleuste Genkonstrukt – nicht von seinen herkömmlich gezüchteten Artgenossen unterscheide: Geschmack, Farbe, Vitamin-, Eiweiß- und Fettsäurengehalt stimme überein. Der Verzehr des Fisches sei gesundheitlich unbedenklich.

Die Zulassung war alles andere als ein Schnellschuss: 20 Jahre dauerte das Prüfverfahren der FDA – wohlwissend, dass mit der Zulassung umstrittenes Neuland betreten wird. Der Lachs namens Aqua-Advantage – Gentechnikgegner nennen ihn "Frankenfish" – wächst doppelt so schnell wie seine gewöhnlichen Artgenossen (Salmo salar) und frisst dabei 25 Prozent weniger Nahrung. Statt in drei Jahren erreichen die Fische schon nach rund 18 Monaten ihr Schlachtgewicht von rund drei Kilogramm. Dazu pflanzte Aqua-Bounty den Lachsen ein Gen des Königslachses ein, das Wachstumshormone produziert. Und da Lachse normalerweise nur im Sommer wachsen, ergänzte Aqua-Bounty einen weiteren Erbgutabschnitt: Er stammt aus einem aalähnlichen Fisch (Zoarces americanus), der an kalte Gewässer angepasst ist. Dieser Erbgutabschnitt ist auch bei eisigen Temperaturen aktiv und sorgt auch im Winter für einen konstanten Nachschub an Wachstumshormonen. Aqua-Advantage-Lachse legen so durchgehend zu.

Fische lassen sich im Vergleich zu Säugetieren relativ leicht gentechnisch manipulieren, weil die Befruchtung der Eier außerhalb des Körpers stattfindet. Die Technik wird auch an anderen beliebten Speisefischen wie Forelle, Tilapia oder Karpfen getestet. Neben schnellerem Wachstum stehen vor allem Resistenzen gegen Krankheitserreger und Parasiten auf der Wunschliste der Fischindustrie – die größten Plagen bei der Massenproduktion von Fisch.

Doch was der Genmais in Europa war, ist nun der Genlachs in Amerika: Ein Symbol für die wachsende Gemeinschaft der Gentechnikgegner, die genmanipulierte Nahrung kategorisch ablehnt. Umweltgruppen und Fischereiverbände befürchten im Falle des gv-Lachses vor allem eines: Dass die Turbofische ausbrechen und die Wildlachse verdrängen.

Fredrik Sundström von der Uppsala Universität in Schweden befasst sich seit mehreren Jahren mit dem Thema. Mit Hilfe großer Wassertanks haben er und seine Kollegen natürliche Flussläufe simuliert und das Eindringen der schnell wachsenden transgenen Lachse in die Natur nachgestellt. Die Ergebnisse sind uneinheitlich: "Im Prinzip ist alles denkbar: gv-Lachse, die alles fressen, was sie kriegen können, sich ausbreiten und andere Arten verdrängen oder gv-Lachse, die schnell sterben und selbst als Futter für Vögel und Robben enden", sagt Sundström. Auch die FDA kennt die Befürchtungen, hält das Risiko jedoch für vertretbar. Tatsächlich wirken die Sicherheitsvorkehrungen von Aqua-Bounty ausgereift: Die Fische werden nicht wie in der herkömmlichen Aquakultur in Fangkäfigen entlang der Küste gezüchtet, sondern in riesigen Indoor-Tanks an Land. Dabei handelt es sich um geschlossene Systeme. Das heißt, das Wasser wird gefiltert und wieder verwendet, und es existiert keine Verbindung zu offenen Gewässern. Dadurch fehlen auch Krankheitserreger und Parasiten, weswegen auf den Einsatz von Antibiotika verzichtet werden kann. Die Eier und Larven werden in Kanada gezüchtet und dann nach Panama transportiert, wo die Tiere bis zur Schlachtreife heranwachsen. Die Umweltbedingungen sind jeweils so gewählt, dass die Lachse, selbst wenn einer ausbrechen würde, nicht überleben würden. Zudem produziert Aqua-Bounty nur sterile Weibchen, die sich nicht fortpflanzen könnten.

"Das wirkt durchdacht", sagt Reinhold Hanel, Leiter des Instituts für Fischereiökologie am Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut in Hamburg.  "Aber Unfälle können immer passieren, in jedem System. Und Sterilität bei Fischen ist nicht so absolut zu bewerten wie bei Säugetieren. Dies wirkt umso schwerer, als aquatische Systeme sich vor allem in einem Punkt von terrestrischen unterscheiden: Geben sie etwas ins Wasser, verbreitet es sich extrem schnell."

Hanel möchte dennoch nicht ausschließen, dass Gentechnik eines Tages eine Rolle spielen wird in der Fischzucht. "Die Idee, Lachse zu züchten, die resistent sind, gegen die Lachslaus etwa, ist verlockend." Allerdings existiere ein gewichtiges Argument dagegen: "Schweine und Kühe züchten wir seit etwa 6000 Jahren. Doraden und Goldbrassen seit maximal 30 Jahren. Das ist zeitlich betrachtet ein Wimpernschlag. Wir sollten erst das Potential der konventionellen Züchtung ausschöpfen, bevor wir Gentechnik nutzen."

Befürworter Zohar versteht solche Bedenken nicht: "Auch die traditionelle Selektionszucht verändert Fische genetisch. Was genau da verändert wird, weiß niemand. Beim Aqua-Advantage-Lachs hingegen wird nur ein gut erforschtes, einzelnes Genkonstrukt hinzugefügt." Zohar ist überzeugt, dass transgene Fische Teil der künftigen Lebensmittelproduktion sein werden und es nur eine Frage der Zeit ist, bis weitere Fischarten folgen und auch Europa einlenkt. Momentan sieht es allerdings nicht danach aus: Der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) liegen keine derartigen Anträge vor.

Global betrachtet ist Europas Anti-Gentechnikpolitik aber tatsächlich eher Ausnahme denn Regel. Jahr um Jahr wachsen die Flächen, auf denen gv-Pflanzen wie Soja, Mais oder Raps angepflanzt werden. Und Amerikaner essen schon bald 20 Jahre lang gv-Lebensmittel wie Maismehl, Papayas oder Mayonnaise und Margarine aus Sojaöl – denn eine Kennzeichnungspflicht existiert in den USA nicht. Aber was bei Pflanzen hingenommen wurde, gilt offenbar nicht für Tiere. Gerade an der nicht existierenden Kennzeichnungspflicht für den gv-Lachs erhitzen sich die Gemüter. Mehrere US-Supermarktketten kündigten daraufhin an, den gv-Lachs nicht zu verkaufen – obwohl andere gv-Lebensmittel dutzendfach in den Regalen stehen. Die FDA argumentierte zunächst, dass eine Kennzeichnung unnötig sei, weil der Fisch sich in seiner Beschaffenheit nicht von konventionellem Lachs unterscheide. Schließlich lenkte sie doch ein: Im Februar untersagte die FDA den Import von gv-Lachs, bis verbindliche Regeln zur Kennzeichnung festgelegt sind. Die Gegner des "Frankenfish" feiern das als Sieg – wenn er wahrscheinlich auch nur vorübergehender Natur ist. Denn in einem Punkt stimmen fast alle Experten überein: Ist gv-Lachs nur günstig genug, wird er auch gegessen werden.

 
INFO
Gen-Lachs könnte Überfischung stoppen

Braucht es schneller wachsende, genmanipulierte Lachse überhaupt? Fakt ist, dass die Weltbevölkerung wächst – und die Nachfrage nach Fisch stetig steigt. Doch die Zahlen aus der Fangfischerei stagnieren – die Meere geben nicht mehr her. Mehr Fisch kann es nur durch Produktion in Aquafarmen geben, die Branche boomt denn auch seit Jahren: Stammten 1970 vier Prozent des weltweit verzehrten Fisches aus Aquakultur, sind es heute rund 50 Prozent. Bis 2030 soll der Anteil auf 60 Prozent steigen. Um den Bedarf an Fisch auch in Zukunft zu decken und die Überfischung der Wildbestände zu vermeiden, muss Aquakultur aber kosteneffektiver produzieren. Gentechnik ist eine fortschrittliche Methode, die genutzt werden sollte, um dieses Ziel zu erreichen“, sagt Yonathan Zohar, Leiter des Aquakultur-Forschungszentrums am Institut für Umwelttechnologie in Baltimore.       vfje