Auf den Spuren des Goldrausches – ein Abstecher nach Dawson City (Yukon)

Das Hotel Ship Creek in Anchorage befindet sich ganz in der Nähe des gleichnamigen Flusses (da können die steigenden Lachse bestaunt werden) und liegt etwas oberhalb des Hauptbahnhofs der Alaska Railroad. Nach einer  relativ kurzen Nacht besteigen wir früh morgens gegen Ende Juni 1996 den Zug Richtung Fairbanks. Bei gemächlicher Fahrt lassen wir die unendliche Weite Alaskas auf uns einwirken. Rund 12 Stunden benötigt der Zug für die 356 Meilen. Wir entspannen uns und lassen die grandiose Schönheit der Landschaft an uns vorbeiziehen. Riesige Wälder wechseln mit dem satten Grün der Graslandschaft ab, die vielfach von Flüssen und Seen sanft unterbrochen wird. Die von zwei Loks gezogene und ganz hinten mit einer weiteren Lok geschobene ellenlange Wagenkomposition folgt dem Flusslauf des Susitna Rivers. Langsam gewinnen wir an Höhe. Am Horizont hüllt sich die mächtige Gebirgswelt in Wolken. Auch ein Blick auf den majestätisch 6‘194 Meter hohen Denali (Mount McKinley) war uns nicht gegönnt. Mehrmals überqueren wir auf teilweise fast bis 60 m hohen Viadukten den Susitna. Die meisten Brücken sind heutzutage beeindruckende Stahlkonstruktionen, aber ein paar wenige sind noch in der alten Holzbauweise erhalten geblieben. Es ist schon ein beklemmendes Gefühl, wenn dieser schwere Zug im Schritttempo so ein leicht zitterndes Viadukt befährt. Ächzend und quietschend schleppt sich Railroad zum Broad Pass (700m ü.M.) hoch. Nachdem die Passhöhe hinter uns liegt, erfolgt ein Zwischenhalt beim Denali Nationalpark. Dieser wird dazu benutzt, um die Wagen von Princess Tours (Reiseunternehmen) abzukoppeln. Der Besucherstrom wird mit gelben und grünen Shuttle-Busse in den Park gefahren. Mit einer Fläche von insgesamt 24.000 qkm gilt der Nationalpark im Inneren von Alaska auch als das grösste geschützte Ökosystem der Welt, mit 750 verschiedenen Pflanzenarten, 39 Säugetierarten, 165 Vogelarten sowie 10 verschiedenen Fischarten. Kurz nach der Weiterfahrt folgt der Zug dem wildromantischen  Nenana River Canyon, der bei Weisswasser-Rafter sehr beliebt ist. In sanfter Fahrt rollen und schaukeln wir dem Nenana- und später dem Tanana River entlang. Beides sind indianische und sehr wohlklingende Namen (Athabascan-Sprache), im Gegensatz zu dem eher harten Eskimo-Dialekt. Kurz vor Fairbanks überquert der Zug auf einer der längsten Einfeldbrücken der Welt den Tanana River.

Vom Taxi-Fahrer, der uns vom Bahnhof zum Hotel brachte, bekamen wir auf die Frage „where can we get the best beef in town” den Turtle Club genannt. Die gut halbstündige Fahrt zum Restaurant, das ausserhalb Fairbanks liegt, führt uns an einem Teilstück der 1’300 Kilometer langen Trans-Alaska-Pipeline und einer Pumpstation vorbei. Das Prime Rib (gibt’s je nach Hunger bis zu 24 ounces – nicht ganz 700 g) war so etwas von zart und köstlich, dass mir heute noch das Wasser im Munde zusammenläuft.

Bei sonnigem Wetter fliegen wir tags darauf mit einer liebevoll überholten DC 3 nach Dawson City (Yukon/Canada). In rund 3‘000m Höhe lernt man in so einer Maschine ohne Druckausgleich und Heizung das richtige und echte Fluggefühl kennen. Die nähere Umgebung von Dawson City mit dem Klondike River, dem Bonanza- und Eldorado Creek zeigt sich wie umgepflügt. Riesige und mehrere 100m lange Wälle aus Schürfmaterial bilden eine hügelartige Formation. Dies ist die Hinterlassenschaft von Schwimmbaggern, die sich in die Flussläufe hineinfrassen. Die Goldsucher haben das Gelände mühsam und bis zu dreimal umgekehrt. Als die Ausbeute als wie geringer wurde und kein Geld mehr für den Unterhalt übrigblieb, liess man alles zurück und verschwand. Das Überbleibsel ist heute ein Freiluftmuseum, das langsam aber sicher dahin rostet und dem Zahn der Zeit zum Opfer fällt. Trotzdem ist eine Besichtigung des schweren Equipements interessant; bedenkt man den Zeitpunkt, wo dieses herangeschleppt wurde. Viel besser gefiel uns, bewaffnet mit Schaufel und Goldwaschpfanne, in einem privaten Claim an Bonanza Creek zu schürfen. Nette Worte und ein Obolus machten dies möglich. Nach stundenlangem Waschen bestand der Fund nur aus wenigen, sehr kleinen Goldkörnern. Doch wir wissen, jeden Moment den wir geniessen ist Gold wert.

Dawson City – die alte Goldgräberstadt mit mehr als 40‘000 Einwohnern im Jahr 1899  –zählt jetzt kaum 1‘400. Das Städtchen dürfte selbst heute eine hervorragende Kulisse für jeden Wildwestfilm bilden. Häuser aus der Pionierzeit säumen die staubigen Naturstrassen mit ihren höher gelegten Holz-Gehsteigen. Zwischendurch schiefe Holzbauten aus der Gründerzeit  mit falschen Giebelattrappen. Diese Häuser stehen unter Heimatschutz und bezeugen somit, was das Gefrieren und Auftauen des Bodens längerfristig bewirken kann. Wir besichtigen auch das Cabin von Jack London (wer kennt ihn nicht), der hier einige Monate gelebt hat. Bekanntlich hat er den Goldrausch persönlich miterlebt und dann später seine Erlebnisse niedergeschrieben. Ein Abend bei Diamond Tooth Gerties (Spielcasino und Show mit Can-Can-Girls) runden diese Romanze der Jahrhundertwende perfekt ab.

Der 1. Juli ist Canada Day (Nationalfeiertag). Ganz Dawson ist auf den Beinen vergnügt sich und feiert. Eine Flugschau mit den Wasserbombern (Einsatz bei Waldbränden) nehmen vom Yukon Wasser auf und versprühen es. Ein Umzug mit der gesamten Löschbrigade begleitet von den Diamond Tooth Gerthies Tanzmädchen, gefolgt von der Royal Canadian Mounted Police (liebevoll Mounties genannt) eröffnet die Festlichkeiten. Zudem begehen die Mounties (rotberockte, berittene Polizei) im Klondike-Gebiet ihr hundertjähriges Jubiläum. Nach mehreren  Ansprachen folgt ein Goldwasch-Wettbewerb für Profis wie auch Laien. Alle trinken etwas und verpflegen sich an den verschiedenen Imbissbuden und Barbeques. Kurz nach Mitternacht fährt uns Romy zum Hausberg von Dawson, dem Midnight Dom (880m ü.M. – Dawson City 600m ü.M). Wir geniessen das fantastische Panorama über Dawson City und den Yukon River, mit dem Klondike-Tal und die umliegenden Ogilvie Mountains. Hier erleben wir, von Moskitoschwärmen bedrängt und belästigt, die Mitternachtssonne. Die glühende Kugel sinkt sich leicht - ohne Unterzugehen - und steigt allmählich wieder. Was für ein beeindruckendes Naturschauspiel. In dieser Phase bestaunen wir zu unseren Füssen den goldig schimmernden, mäandernden Yukon mit seinen Nebenarmen. Etwas aufgewühlt besuchen wir anschliessend den Friedhof am Fusse dieses Hügels, wo viele Goldsucher ihre letzte Ruhestätte fanden.

Während unseres Aufenthaltes verfehlen wir leider Kurt mit seinen 3 Kumpels, die uns per Camper von Anchorage aus besuchen wollten. Auch das Treffen mit Peter und seinem Sohn, die von der Prudhoe Bay herkommend via Dawson nach Haines unterwegs waren, kam nicht zustande. Die Camper-Freunde schafften es aus Zeitgründen nicht und die beiden Anderen hatten Dawson bereits verlassen, bevor wir eintrafen.

Um 08.00h besteigen wir in Dawson einen privaten Kleinbus, setzen mit der Fähre über den Yukon und beginnen eine abenteuerliche Fahrt über den „Top oft he World Highway“ nachTok (AK). Das hört sich toll an, ist aber in Tat und Wahrheit eine zu mindestens 90%-ige reine Schotterpiste (vermutlich dürfte sich dies in den kommenden Jahren ändern). Phil, unser Fahrer, informiert uns, dass wir den ganzen Tag benötigen, um die rund 300 km lange Strecke zu bewältigen. Die Strasse wird ihrem Namen gerecht, führt sie doch auf dem Rücken der Berge von Hügelkette zu Hügelkette und windet sich mit leichter Steigung und leichtem Gefälle durch die Landschaft. Zu beiden Seiten lässt sich eine traumhafte Aussicht geniessen und die spektakuläre Natur entspricht genau den Vorstellungen, die man von dieser Region erwartet. In grossen Abständen treffen wir immer wieder auf halb zerfallene Holzunterstände. Diese dienten in früheren Zeiten den in Not geratenen Personen, sich vor Wetterunbill zu schützen. Zudem fand man darin Lebensmittel, um zu überleben. Kaum macht Phil in der Ferne eine Staubfahne aus, sucht er einen geeigneten Halteplatz, damit wir von dem heran donnernden Truck nicht von der Strasse gefegt werden. Rohe Sitten, denk ich mir. Vom Wind gepeitschte Blumen säumen wie farbenfrohe Teppiche die Strecke. Endlich erreichen wir die Grenze, die auf der kanadischen Seite den Namen „Little Gold Creek“ trägt und ein paar Meter weiter in  Alaska „Poker Creek“ heisst. Dies ist eine der wenigen von beiden Staaten gemeinsam erbauten und genutzten Grenzstationen. Übrigens erreichen wir hier den höchsten Punkt des Highway (um die 1‘300 m ü.M.) und sind erst 107 km westlich von Dawson entfernt. Kurz danach verpflegen wir uns in einer sehenswerten Kneipe namens „Boundry“ mit dazugehörender Tankstelle. Dies ist die erste Möglichkeit seit unserer Abfahrt, um uns mit Kaffee (hey, was soll das Gelächter!...) zu erwärmen. Mit neuen Kräften geht’s weiter. Phil besitzt zusammen mit seinem Freund an diesem Streckenabschnitt einen Claim, wo sie nach Gold schürfen. Nach viel Zureden ist er schlussendlich bereit, uns diesen zu zeigen. Plötzlich schwenkt er nach links und wir schaukeln im Schritttempo in einer tiefen Fahrspur voller Wasserlöcher durch den Busch. Die Zweige kratzen an der Karosserie. Unvorbereitet erfolgt ein Vollstopp. Was ist los?, frage ich von der hinteren Sitzbank rutschend. Ungefähr 30 m vor uns steht ein grimmig dreinblickender, heruntergekommener, bärtiger Kerl mit zerrissener Kleidung und Schlapphut. Gut zu erkennen ist der freundlicherweise auf uns gerichtete Lauf seiner Winchester. Phil gibt sich zu erkennen und wir dürfen aussteigen. Ein paar Blicke auf zwei kleine Bagger, aufgeschürfte Erde und eine dürftige Unterkunft, mehr ist nicht auszumachen. Leider dürfen wir nicht näher als 100 m an das Camp ran. Das war’s, bitte einsteigen, wir fahren weiter. Phil gibt sich zugeknöpft und sagt: Sirs, nächster Halt ist Chicken.

Dies ist ein urkomisches Örtchen: in Chicken Downtown gibt’s ein Café, einen kuriosen Souvernirshop sowie einen urigen Saloon. Ein Schluck Jack und das war’s. Wegen Zeitmangel müssen wir gleich weiter. Da hab‘ ich‘s mir geschworen, irgendwann und irgendwie wieder hierher zu fahren. Chicken alleine verdient eine eigene Story. Schweigend und etwas müde nimmt Phil die restlichen ca. 130 km unter die Räder. Die Strasse hat mittlerweile einen guten Belag. Dies stimmt Phil offensichtlich etwas frohgelaunter und er bekennt, dass er bisher mit seinem Claim noch nicht das grosse Los gezogen hat. Der Ertrag deckt die Kosten und eine Kleinigkeit bleibt übrig. Aber wir machen weiter, vielleicht ist uns eines Tages das Glück hold. Tja, auch bei den Diggern stirbt die Hoffnung zuletzt. Noch ein paar Meter und wir halten bei Fast Eddy’s Restaurant und Motel in Tok. Nach all dem Erlebten wird in einer ausgiebigen Runde der Kleber „We survived the Top of the World Highway“ gebührend eingeweiht.

Anderntags geht’s weiter. Wir kommen am Worthington Glacier vorbei und überqueren den Thompson-Pass nach Valdez (Endstation der Alaska Pipeline). Mit der Alaska Ferry fahren wir fast sieben Stunden der Küste entlang, vorbei am Columbia Glacier und erreichen Whittier, das durch keine Strasse erschlossen ist. Die Alaska Railroad bringt uns nach Portage und wir gelangen mit einem Kleinbus nach Anchorage. Gerade rechtzeitig, um dort am 4. Juli den Independence Day (Nationalfeiertag der USA) zu feiern.     2/4