McCarthy / Kennicott und Kennecott Kupfermine

Gestern – an einem sonnigen Tag anfangs Juli 2003 – standen wir noch unterhalb des Wehrs im knietiefen Wasser des Ayakulik-River (Kodiak). Das kam so: eine eiserne, absenkbare Flusssperre verhinderte unsere Weiterfahrt. Wir kletterten vom Schlauchboot über die Absperrung. Auf der tieferen Flussseite hat Fish and Game (F&G) einen kleinen Steg errichtet, von dem aus uns Mitarbeiter einen Fragebogen aushändigten. Die letzten Tage hatten wir in absoluter Wildnis verbracht, sind keinem Menschen begegnet, haben keine Hütte gesehen; nichts, nur Natur pur – ab und zu ein Bär oder Fuchs. Wir beantworteten die Fragen, darunter auch solche, die man nicht erwartet, wie  „hast Du irgendwo eine Gewässerverschmutzung festgestellt“. Das Grosshirn rebelliert: „geht’s noch, woher denn, selbst Bootsmotoren sind an diesem Fluss nicht erlaubt“. Pflichtbewusst füllten wir zwei Seiten mit den Antworten aus. Lachse schubsten uns, schwammen zwischen unseren Beinen durch. Am Ufer, keine 15m von uns entfernt, lümmelten zwei halbstarke Grizzlies. Zwischendurch starteten sie Scheinangriffe in unsere Richtung, zogen im seichten Wasser die Vollbremse und kehrten ans Ufer zurück. Am Ende der Befragung zeichnete uns F&G mit einem Pin aus, ob dieser unserem Durchstehvermögen oder dem ausgefüllten Formular galt, ist immer noch offen. Die Sperre wurde abgesenkt und wir hatten für die letzten Flusskilometer freie Fahrt bis zur Mündung; immer in Begleitung der beiden Griezzlies.

Heute sind wir gegen Mittag in Anchorage eingetroffen, übernahmen unsere Motorhomes und starteten in Richtung Chitina, das wir bei Dunkelheit erreichten. Morgen fliegen wir von Chitina nach McCarthy. Es gibt zwar eine rund 100 km lange Strassenverbindung, die in 5-6 Stunden zu meistern ist. Die Strasse verläuft teilweise auf dem alten mit Kies und Schotter aufgefüllten Bahntrasse. Viele Autovermieter erlauben es aus Sicherheitsgründen (Pneuplatzer, Scheibenbruch, zu wenig Benzin) nicht, dass diese mit ihren Fahrzeugen befahren wird. Unser Ärger beginnt an der Flugpiste: kein Flugzeug, kein Pilot, kein Mensch! Wir sind auf das öffentliche Telefon angewiesen, um der Wrangell Mountain Air unsere Ankunft mitzuteilen. Nirgendwo findet sich eine Telefonzelle. Wir fahren zurück nach Chitina und versuchen vom Restaurant aus zu telefonieren. Meistens kommt das Besetztzeichen, dann endlich der erlösende Klingelton. Niemand antwortet. Wir bestellen eine Runde, versuchen es erneut. Kein Erfolg! Ein weiterer Versuch – wir sind mit dem Telefonbeantworter verbunden – hinterlassen unsere Mitteilung sowie die Nummer des Restaurants. Keine Seele ruft zurück. Wir erklären der Bedienung den Sachverhalt und vereinbaren nach einer guten Stunde wieder zurück zu sein. Wir nutzen die Zeit und besichtigen die in einer langen Reihe  aufgestellten Fischräder am Copper River. Einige drehen, doch der Ertrag ist eher spärlich. Wir besprechen das weitere Vorgehen und kehren zurück zum Restaurant. Nichts ist passiert! Also fahren wir erneut zur Flugpiste. Gleiches Bild, gähnende Leere. Wir warten und warten und fragen uns, warum das Telefonieren in Alaska so schwierig sein muss. Es gibt nicht einmal einen kleinen Shop, wo Getränke und Eingeklemmte gekauft werden können. Die Zeit vergeht und vergeht. Endlich hören wir ein Motorengeräusch, sehen bald darauf den kleinen Flieger, der zur Landung ansetzt. Ein erlösendes Aufatmen reihum.. Der Maschine entsteigen 3 Personen. Es folgt ein flüchtiger Wortwechsel mit dem Piloten bei noch drehenden Probellern. Wir bringen unser Gepäck, steigen ein und weg sind wir. Dafür werden wir während des Fluges mit einer herrlichen Sicht auf die Berg- und Gletscherlandschaft im Herzen des Wrangelll-St. Elias Park and Reserve belohnt. Der Flug führt den Bergflanken des Mount Blackburn (16.390ft/4.996m) entlang, dann überfliegen wir den Kennicott- und Root-Gletscher, vorbei an der Erie Mine und in einer Schleife mit Sicht auf die Umgebung von Kennicott und McCarthy endet der Flug. Nach einigen Billiard-Spielen in dem gegenüberliegenden Saloon, nächtigen wir im Ma Johnson‘s Historic Hotel (einziges authentisches Hotel). Die Zimmer sind mit Gegenständen aus der Zeit möbliert und sauber, lediglich die Zimmerschlüssel fehlen.

Nach dem Frühstück erkunden wir zu Fuss McCarthy. Unten am Kennicott River überqueren wir den Fussgängersteg, der zum Parkplatz der hier endenden McCarthy Road führt. Früher konnte der Fluss nur mit  einem am Drahtseil aufgehängten Stahlkorb überquert werden, sofern auf der gegenüberliegenden Seite eine Person das Seil zog. Mit dem Besuch des kleinen historischen Museums beenden wir unseren Rundgang. Nachmittags bringt uns ein Kleinbus zum Bergwerkdorf Kennicott. Wir beziehen die Zimmer in der Kennicott Glacier Lodge und melden uns zum Abendessen an. Anschliessend flanieren wir auf der Main Street und stöbern in den Souvenir-Shops. Etwas später betreten wir den Speisesaal und werden an einen Tisch mit drei hübschen Girls geführt. Lächelnd und charmant stellen wir uns gegenseitig vor. Das Eis ist gebrochen und ein anregendes Gespräch verkürzt die Zeit bis die Mahlzeiten serviert werden. Wo kommst Du her, was machst Du hier, wie lange bleibst Du, was hast Du für einen Job etc.? Die Girls sind wirklich an uns interessiert, haben sich auch richtig herausgeputzt und geben sich von ihrer besten Seite. Unsererseits erfahren wir, dass die Drei aus den unteren Staaten kommen und gemeinsam Urlaub machen. Die Eine ist Lehrerin, die Andere Witwe und die Dritte vor kurzem geschieden. Nur eines ist schade, zusammengezählt beträgt ihr Alter 227 Jahre.

Tags darauf besichtigen wir am Morgen die ganze Mine, staunen über die teilweise verwegenen Holzkonstruktionen und fragen uns, wie denn damals das gesamte Material hierher gefugt worden ist. Wie war es möglich, ein 14-stöckiges Gebäude am steilen Berghang zu errichten. Was für eine Leistung, wenn man die klimatischen Bedingungen und die ursprünglich fehlenden Transportwege mit berücksichtigt. Lediglich der Blick nach unten trübt die Aussicht, zeigt er doch die traurige Hinterlassenschaft an Unrat, Dreck und Unordnung der Minengesellschaft. Nachmittags  unternehmen wir eine Wanderung zum Root-Glacier und schliessen mit der Begehung des Rundweges (etwas mehr als 1 Stunde) unser Tagesprogramm ab. Oben auf dem Rundweg treffen wir einen Aussteiger und kommen mit ihm ins Gespräch. Er verbringt hier die Sommerzeit und sucht an abgelegenen, unwegsamen Stellen Kupfer-Nuggets. Diese veräussert er an Touristen. Wir suchen uns einige als Souvenir aus, sie sind fast so schwer wie Blei.

Etwas Geschichte muss sein: Bergwerkdorf Kennicott und die Kennecott Kupfermine  

Seit dem Beginn der Erzförderung (ca. 1903) wurde an der Infrastruktur des Bergwerkdorfes in der Wildnis gebaut. Kennicott entwickelte sich zu einer boom town. Nebst dem 14-stöckigen Minengebäude (eine reine Holzkonstruktion), entstanden Unterkünfte für Minenarbeiter (alleine 600), Personal sowie kleinere Privathäuser für Führungskräfte und Privatpersonen. Schon bald verfügte der Ort über ein Spital, Schule, General Store, Milchladen, Baseball- und Tennisplatz sowie ein Stummfilmkino. Da das Spielen und Trinken nicht erlaubt war, entwickelte sich McCarthy (früher Shushana Junction), das lediglich 4,5 Meilen talabwärts liegt, zum Vergnügungsplatz und Einkaufsort der Kennicott-Bewohner. Schnell wuchs dieser zur Stadt der Minen- und Eisenbahnarbeiter heran. In kurzer Zeit siedelten sich zwei Zeitungsverleger, ein Kleiderladen, ein Schuhladen, ein Photograph, eine Auto-Werkstatt und ein Eisen- und Haushaltswarenladen an. Auch Hotels, Restaurants, Poolbilliard-Hallen und Saloons fehlten nicht und sogar ein Rotlicht-Viertel entstand. In der Blütezeit zählte McCarthy über 800 Einwohner.

Bereits 1925 sagten die Geologen voraus, dass die Erzader mit dem hohen Kupfergehalt bis anfangs der 30er-Jahre abgebaut sein dürfte. 1929 wurde die Glacier-Mine stillgelegt. Nach dem rapiden Rückgang des Kupfermarktes wurde Ende Juli 1938 auch die Mother Lodge und im September die letzten drei Minen geschlossen. Bis zur Schliessung konnten über 4,5 Millionen Tonnen Erz mit durchschnittlich 13-prozentigem Kuperanteil im Wert von $207 Millionen abgebaut und ein Gewinn von schätzungsweise $100 Millionen erwirtschaftet werden. Das Nebenprodukt Silber spülte weitere $4,5-9 Millionen in die Kasse. Zum Vergleich: eine Mahlzeit im Restaurant kostete damals $1,50. Nachdem die Minengesellschaft den Standort 1938 aufgegeben hat, blieb praktisch eine Geisterstadt zurück. Damit starben Hoffnungen und Träume für eine gesicherte Zukunft.

Zwei Prospektoren erkundeten im Sommer 1900 ein Gebiet der Wrangell-Mountains, das zum 1980 gegründeten Wrangell-St. Elias Nationalpark - übrigens der grösste von ganz USA - zählt. Bergwärts ziehend, erblickten Jack Smith (auch Tarantula Jack genannt) und Clarence Warner ein paar Meilen vom heutigen McCarthy entfernt, an einer Bergflanke eine grünlich schimmernde Felsformation. Vor Ort war sofort klar, dass es sich um Kupfererz handelte. Sie gründeten die Bergbaugesellschaft „Chitina Mining and Exploration Company“. Eine Analyse des Erzes ergab einen Kupferanteil von 70%, sowie Spuren von Silber und Gold. Im Herbst 1900 kaufte ihnen Stephen Birch, ein junger Mineningenieur, die Schürfrechte für $275‘000 ab. 1903 stiegen J.P. Morgan und die Familie Guggenheim als Geldgeber ein und gründeten die „Kennecott Copper Corporation“. Durch einen Buchstabierungsfehler erhielt sie den Namen Kennecott, obgleich sich die Gegend, der Fluss und die Stadt nach dem angrenzenden Kennicott-Gletscher nennen.

 

Unverzüglich begann die Gesellschaft mit dem Ausbau der Mine. Anfänglich wurde das gewonnene Erz in 70-Pfund-Säcke abgepackt und auf Pferderücken nach Valdez gebracht. Im Frühling 1908 begann in Cordova der Bau der 196 Meilen langen, privaten Eisenbahnlinie (Copper River Northwestern Railway). Kennecott bestand aus 5 Minen: Bonanza, Jumbo, Mother Lode, Erie und Glacier. Der Tagebau war in der Glacier-Mine nur während den Sommermonaten möglich. Die übrigen 4 Minen wurden mit Tunnels verbunden und das Erz mit Loren sowie Förderbänder zur Kennecott-Mine gebracht. Der Abtransport per Schiene ermöglichte gleichzeitig die Umstellung auf 140 Pfund-Säcke. Im April 1911 verliess der erste Zug Kennicott und brachte das Erz mit 70% Kupfergehalt und einem Warenwert von $250‘000 nach Cordova. Alleine im Spitzenjahr 1916 betrug der Wert des geförderten Erzes $32,4 Millionen.

Bis Ende der 1960er war Kennicott verlassen. Versuche, den Erzabbau wieder aufzunehmen, scheiterten an den Kosten. Ein Abriss der Stadt wurde nur unvollständig durchgeführt, sodass noch heute ein Grossteil  der Gebäude vorhanden ist. Seit den 1980ern entwickelte sich Kennicott zur touristischen Sehenswürdigkeit und wurde zum National Historic Landmark erklärt. Der National Park Service erwarb 1998 einen Teil des sich in Privatbesitz befindenden Stadtgebietes. Erst in den letzten Jahren kehrte wieder Leben nach Kennicott und McCarthy zurück. Wo es sich lohnt, stabilisiert und renoviert der National Park Service verschieden Gebäude.

Heute Morgen ist unser letzter Tag in Kennicott angebrochen. Das Gepäck ist abholbereit: 3 leichte Reisetaschen  und ein schwerer Seemannssack. Der Kleinbus bringt dieses zur Flugpiste. An Vorabend haben wir entschieden, dass wir die gut 7km lange Wegstrecke zu Fuss in Angriff nehmen. Bevor wir losmarschieren, genehmigen wir uns noch einen stärkenden Schluck. Von der Lodge-Terrasse blicken wir über das fast 5km breite Kennicott-Flusstal. Bis zur gegenüberliegenden Bergkette bedeckt Kies, Kies und nochmals Kies sowie Geschiebe die Gletscherzunge.

 Der alte Trail wird nicht mehr unterhalten und führt vorwiegend durch Wald und Busch. Gesteinsbrocken, Wasserpfützen und umgefallene Bäume erfordern kleine Umwege. Teilweise piesacken uns ganze Moskitoschwärme. Die Biester veranstalten eine wilde Stech- und Blutsaugerparty. Nach mehr als 2 Stunden sind wir noch immer im Wald unterwegs. Weit und breit ist nichts von McCarthy zu sehen. Wir haben uns verlaufen. Später kommen wir an einem Flugzeugwrack vorbei und stossen auf eine verlassene Hütte. Wir beraten uns kurz. Die Mehrheit entscheidet, in welcher Richtung vermutlich der Kennicott-River liegen könnte … und weiter geht es. Nach einiger Zeit macht der Wald dem Buschwerk Platz. Dann lichtet sich der Bewuchs und wir kommen zu den ersten Geröllfeldern. Weitere 15 Minuten später sind wir in offenem Gelände und ahnen in etwa, wo sich das Flussbeet durch das breite Tal windet. Erst jetzt lassen die Moskitos von uns ab und die letzten vom Blut berauschten Trunkenbolde klammern sich erschöpft an meterhohen Grashalmen und Blattwerk fest. Unverdrossen gehen wir vorwärts und sehen endlich in einiger Entfernung den ersten Vorposten der Zivilisation, nämlich zwei Dachfirste. Wir freuen uns auf das verdiente kühle Bier im Golden Spoon Saloon.               2/4

 

Bemerkungen zu den Besitzverhältnissen der Kennecott-Mine

Die Familie Guggenheim besass weitere Kupferminen in Utah und Chile. Sie entschied, alle Kupferaktivitäten in der neu gegründeten Gesellschaft Kennecott Utah Copper zu bündeln. 1981 kaufte Standard Oil of Ohio (SOHIO) Kennecott und 1987 erwarb British Petroleum die Interessen von SOHIO. 1987 wurde RTZ Corporation (Rio Tinto Zimbawe), heute bekannt als Rio Tinto, neuer Besitzer der Kennecott Utah Corporation. Das Milliarden-Monopoly unter den 4 grössten Rohstoffkonzerne der Welt geht weiter.

 

Aktivitäten-Hinweis für geübte Berggänger:

Lokale Führer bieten ganztägige Gletscherwanderungen, Eisklettern und Touren zu den aufgegebenen Minen Bonanza, Jumbo, Erie an.